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Dear Esther – Briefe eines Unbekannten

Das Spiel Dear Esther gibt es bereits seit 2010. Die Linux-Version, die einen Wine-Wrapper nutzt, ist aktuell im Humble Indie Bundle 8 enthalten. Der Artikel soll das ungewöhnliche Spiel vorstellen.

Die Geschichte

Die Spielfigur „erwacht“ auf einer Insel, direkt am Strand an einem Bootsanleger vor einer kleinen Hütte. Erwachen ist dabei aber nicht das richtige Wort, denn das Spiel beginnt dort einfach nur. Als Spieler wirkt es so, als würde man an der Stelle nur in die Ego-Perspektive einer unbekannten Person schlüpfen. Das Vergangene ist unbekannt. Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Wo komme ich her?“ haben bei Dear Esther eine besondere Bedeutung

Der Leuchtturm ist der Startpunkt der Reise.

Der Leuchtturm ist der Startpunkt der Reise.

Was man als Spieler zu tun hat, ist nicht klar. Also läuft man in die Hütte. Der Wind pfeift durch die zahlreichen Löcher im Dach und den Wänden. Ein Schauer fährt einem über den Rücken. Dazu fängt ein Erzähler an, die Geschichte mit „Dear Esther“ einzuleiten. Spielt man Esther? Oder spielt man den Mann, der Esther eine Nachricht hinterlassen will?

In der Hütte kann man nichts tun. Kein Untersuchen, kein Bewegen, kein Aufsammeln von Gegenständen. Man merkt hier schon, Dear Esther ist ein anderes Spiel. Etwas fällt aber sofort ins Auge, wenn man die Hütte verlässt: In der Ferne blinkt ein rotes Licht. Allein die Neugier eines Menschen treibt einen an, herauszufinden, was es damit auf sich hat. Sind dort andere Personen? Erfährt man dort endlich mehr über die Insel und sich selbst?

Dem Ziel ganz nah. Oder doch nicht?

Dem Ziel ganz nah. Oder doch nicht?

Geht man weiter, teilt sich Weg: entweder den Hügel hinauf oder am Strand entlang. Die Wahl bleibt dem Spieler überlassen. Eingeschränkt wird man nur durch Zäune und Wegmarkierungen. Das Spiel beschränkt dadurch den Weg, den man zu gehen hat. Es sind keine Schienen, auf denen man sich bewegt, aber ein freies Erkunden der Insel ist ebenso nicht möglich. Vielleicht ist dies aber auch gewollt, um den Fortgang der Geschichte zu gewähren.

Egal, wo man auf der Insel entlang läuft, findet man seltsame Gegenstände. Brennende Kerzen stehen am Wegesrand. Wer hat dieser aufgestellt? Und vor allem seit wann brennen diese da? Es kann nicht lange her sein, sonst wären sie abgebrannt.

In einer Schlucht findet man die Überreset eines Autos. Hier eine Tür, da noch eine. Noch weiter im Dunkeln liegen Auspuff und Katalysator. Ist hier jemand mit dem Auto verunglückt? Auf dieser kleinen Insel, auf der es keine Straßen gibt. Und wo ist der Rest des Wagens?

Am Strand sind zwei große Schiffe gestrandet. Wie lange diese wohl hier schon liegen? Die Korrosion ist weit fortgeschritten, aber überall liegt noch die Ladung am Strand. Wollte dies niemand aufsammeln? Und dort am Horizont mitten im Meer blinkt ein weißes Licht. Kann man dorthin schwimmen? … Nein, keine gute Idee, wie man bald merken wird. Aber eine Stimme ruft „Come back“ und man kommt zurück.

Zwei gestrandete Schiffe. Welche Bedeutung haben sie?

Zwei gestrandete Schiffe. Welche Bedeutung haben sie?

Die Stimme des Erzählers ist auch das, was einen die ganze Zeit begleitet. Jeder Fund, jede besondere Ort auf der Insel lässt einen mehr über die Geschichte erfahren. Neue Namen kommen hinzu. Nicht nur Esther, nein, auch Paul, Jakobson und Donnelly scheinen eine Rolle zu spielen. Ob man bis zum Ende die ganze Geschichte erfährt?

Fazit

Dear Esther ist kein Spiel, sondern eher eine Erfahrung. Würde man es als reines Spiel ansehen, gäbe es für das Spielprinzip (man kann eigentlich nur vorwärts laufen, in der Hoffnung, dass die Stimme etwas erzählt) eine sehr schlechte Note.

Aber glücklicherweise will Dear Esther so etwas auch gar nicht sein. Es geht einzig und allein darum, in die Geschichte einzutauchen und Verlust, Tragik, Trauer und die Melancholie der Insel zu erfahren.

Wäre es nicht so traurig, wäre es direkt schön.

Wäre es nicht so traurig, wäre es direkt schön.

Hieran scheiden sich aber auch die Geister. Die meisten Spielkritiker loben das Spiel und den andersartigen Ansatz, bei den Spielern geht die Meinung etwas mehr auseinander. Manche sehen es als interaktives Hörbuch, wobei sich die Interaktion sogar einschränkt, da man theoretisch nur die Seiten umblättert (Analogie zum Vorwärtsgehen auf der Insel). Andere Spieler sind wiederum begeistert aufgrund der Interpretationstiefe.

Interpretieren ist auch das, was man das Spiel muss. Zumindest mir gelang es (nach einmaligem Durchspielen) nicht die gesamte Geschichte zu verstehen. Ich habe eine Theorie, die sich auch mit anderen Theorien im Dear-Esther-Forum deckt, aber es scheint keine absolute Wahrheit geben.

Dies ist wohl auch mein großer Kritikpunkt an Dear Esther. Ich mag Spiele, über die man später noch sprechen kann. Wenn aber nicht einmal die Grundlage der Geschichte klar ist und bereits hier gestritten wird, ergibt sich keine gute Diskussion über das Spiel, sondern jeder stellt nur seine eigene Sichtweise dar. Hier hätte ich mir wohl mehr Hinweise und eine klarere Linie gewünscht.

Es geht hoch hinauf. Oder ist man nur tief unten angelangt?

Es geht hoch hinauf. Oder ist man nur tief unten angelangt?

Gegebenenfalls hat das Problem auch mit der englischen Sprache zu tun. Einige der Texte, die erzählt werden, ergaben für mich selbst beim Lesen und nicht nur beim Hören keinen Sinn. Somit lässt sich deren Bedeutung für die Geschichte nur schwer einschätzen. Eine Interpretation fällt fast völlig weg. Es gibt zwar eine inoffizielle deutsche Übersetzung, die aber – das Wort „inoffiziell“ deutet es an – nicht per Standard mit ausgeliefert wird. Installiert man diese, wird das Verständnis des Spiels gerinfügig klarer – aber auch nicht massiv.

Zur Technik: Grafisch beeindruckt Dear Esther durch viele Details – vor allem im späteren Höhlensystem – was leider durch einige flache und matschige Texturen getrübt wird. Die künstlichen Begrenzungen wirken – nun ja, gekünstelt. Man bleibt bereits an wenige Zentimeter hohen Balken hängen und kann somit nur auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Auch das Schwimmen durch das Meer ist oft durch unsichtbare Barrieren eingeschränkt. Hier verliert man als Spieler wieder den Kontakt zum Spiel und wird in die reale Welt zurückgeworfen.

Das Höhlensystem sieht fantastisch aus.

Das Höhlensystem sieht fantastisch aus.

Woran es rein gar nichts auszusetzen ist, ist die Audio-Qualität. Sowohl die Erzählerstimme von Nigel Carrington ist großartig als auch der Soundtrack von Jessica Curry, die das Spiel musikalisch untermalt hat. Der Soundtrack kann auch kostenlos bei Bandcamp angehört werden, was ich nur jedem empfehlen kann, der melancholische Klavierstücke mag.

Ingesamt fällt es schwer, Dear Esther für eine bestimmte Zielgruppe zu empfehlen. Man muss es wohl gespielt haben, um sagen zu können, ob es einem gefällt. Die geringe Spielzeit von ein bis zwei Stunden mag den einen oder anderen aber ggf. abschrecken. (Wobei es bei diesem Spielprinzip auch nicht viel länger hätte sein sollen.)

Trackbacks

deesaster.org am : Spiel: Gone Home

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Was wäre, wenn man nach einer langen Reise nach Hause kommt und findet niemanden vor? Das Haus wirkt wie ausgestorben und es gibt keine Spur, wo alle sind. So geht es Katie im Spiel „Gone Home“, die herausfinden muss, was mit ihrer Familie geschehen ist.

Kommentare

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Quantumgravity am :

Ich habe den Machern eine Anfrage geschickt, ob sie ihr Spiel vielleicht unter der GPL lizenzieren wollen... leider keine Reaktion. Offenbar sind sie daran nicht interessiert, was schade ist.

Dee am :

Gerade bei "Dear Esther" lohnt sich das kaum. Den größten Teil des Spiels nimmt ja nicht der Programmcode ein, sondern die Grafiken, die Texte und Musik. Und diese Sachen sind in der Regel nur sehr selten wirklich frei bei einem kommerziellen Spiel, da genau hier ja die Essenz herkommt, das Spiel zu kaufen.

Der Programmcode selbst umfasst die Darstellung der Objekte und Texturen, Kollisionsabfrage und Bewegungssteuerung. Etwas, was man normalerweise eh „einkauft“ oder woanders her benutzt.

Quantumgravity am :

Was heißt es "lohnt sich kaum".
Die Kunst im Spiel muss überhaupt nicht frei sein, dass ist nicht Sinn und Zweck der GPL.
Die Möglichkeit, dieses Spiel zu spielen und dabei die essentiellen Freiheiten zu behalten, das ist entscheidend.
Das zu gewährleisten ist doch grade für Dear Esther attraktiv, weil, wie du schon richtig sagst, die ganze Kunst das Spiel ausmacht, und die bleibt unter der Kontrolle der Entwickler. Das ist aber nichts Schlechtes!

Dee am :

Hm, bitte verrate mit Deine Interpretation der GPL. Also was soll Deiner Meinung nach unter GPL gestellt werden? Programmcode, Grafiken, Musik, Töne, Texte?

Quantumgravity am :

Es geht wirklich nur um den ausführbaren Code; dieser muss unter der GPL stehen, damit das Spiel "freie Software" ist.
Gibt auch genug Spiele, bei denen das der Fall ist.
"Frogatto" zum Beispiel. Es gibt ein Paket, "frogatto", das liegt soweit ich weiß in "main" bei Debian, und dann gibt es noch "frogatto-data" mit Musik, Texturen, Bildern, Texten usw., das liegt in non-free. Trotzdem ist frogatto ein freies Spiel.

Kunst muss nicht "frei" sein, im Sinne von "jeder darf es nehmen, dran basteln und unter eigenem Namen verbreiten", Code aber schon;

Rechtschreibung am :

Geht man weiter, teilt sich Weg:
Interpretieren ist auch das, was man das Spiel muss.

Das kann man soch ja nicht mit ansehen...
Kommentar bitte wiederentfernen...

Dee am :

Warum sollte ich solche konstruktiven Kommentare denn wieder entfernen? Zumal ich in den angesprochen Sätzen keine Rechtschreibfehler erkenne. Auch grammatikalisch sind sie korrekt. Nur der Ausdruck leidet etwas … Aber der war draußen und hat die Sonne genossen! ;) Auf alle Fälle Danke fürs Durchlesen des Artikels. :)

Rechtschreibung am :

Gerne, ist ja ein interessanter Artikel, ich werde mir auch das HumbleBundle noch holen, LittleInferno - auch sehr witzig.

Zur Rechtschreibung, gefühlsmäßig war ich mir sicher, dass das nicht korrekt ist, aber so kann man sich wohl irren. Obwohl ich es noch nicht ganz glaube kann das diese Wörter so richtig sind ;-)

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