(Neu) Gespielte Spiele im Juni 2022
Vital Lacerda ist ein sehr bekannter Brettspielautor aus Lissabon, Portugal. Im Juni habe ich einige seiner Spiele kennenlernen dürfen, darunter „Vinhos Deluxe Edition“, „Lisboa“ und „Bot Factory“. Daneben kamen noch „First in Flight“ und „Unlock! Secret Adventures – Die Abenteurer von Oz“ auf den (virtuellen) Spieletisch.
Vinhos Deluxe Edition (Eagle-Gryphon Games, 2016)
2010 kam mit „Vinhos“ ein Weinanbauspiel von Vital Lacerda auf dem Markt. Es handelte sich um das erste eigenständige Spiel des Autors (soweit ich das auf BGG sehe) und viele weitere sollten folgten. Fast alle Spiele von Vital Lacerda sind durch ihre Komplexität und enge, thematische Verzahnung bekannt. Da ich „Kanban“ sehr mag, freute es mich, endlich einmal die „Vinhos Deluxe Edition“ kennenzulernen.
Die Regeln von „Vinhos“ sind schnell umrissen: Wir sind Winzer und erwerben an der Westküste Portugals Weinanbaugebiete. Hier können wir Rot- oder Weißwein anbauen, Farmer in die Weinberge schicken oder Önologen auf dem Weingut arbeiten lassen. Experten unterstützen uns mit ihren Fähigkeiten. Die Weintrauben ernte ich am Jahresende und stelle daraus direkt Wein her, den ich einlagere. Der Wein reift auch jedes Jahr, wird aber im Normalfall nach zwei Jahren schlecht (mit einem Keller hält er länger), wenn ich ihn bis dahin nicht verkauft (gibt Geld), exportiert (gibt Siegpunkte) oder auf der Messe nach dem dritten, fünften und sechstem Jahr ausgestellt habe. Nach sechs Jahren endet auch bereits das Spiel, es werden noch einmal einige Siegpunkte ausgeschüttet und der beste Winzer gewinnt.
Ein Hinweis: Wir spielten mit den vereinfachten Regeln der „Vinhos Deluxe Edition“. Das originale „Vinhos“ hat, soweit ich das sehe, noch eine Bank und einige andere Regeln, die das Spiel komplexer machen. Da ich die Version nicht kenne, kann ich sie nicht beurteilen, aber „Vinhos“ in der vereinfachten Variante wirkte auf mich so rund, dass ich keine weiteren Mechanismen mehr dafür einbauen würde. Die unterschiedlichen Versionen haben leider einen Nachteil: Es gibt drei Regelhefte. Dementsprechend dauerte es beim Nachschlagen einige Zeit, weil wir nicht immer genau wussten, wo die Antwort zu suchen war.
„Vinhos“ ist von den mir bekannten Lacerdas eher ein leichterer Vertreter, wobei ich es dennoch als Expertenspiel bezeichnen würde. Es gibt nur sechs Runden, in jeder habe ich zwei Aktionen mit meinem einzigen Arbeiter. Die zwölf Aktionen muss ich also sehr genau planen, damit ich sie auch effizient nutze. Gefallen hat mir dabei, dass von Anfang an der „Rhythmus“ des Spiels klar war. Ich wusste nach der 45-minütigen Erklärung, was ich zu tun hatte, um X oder Y zu erreichen. Diese leichte Zugänglichkeit zeichnet ein gutes Spiel aus. Die Spannungskurve lag ständig weit oben, ganz einfach, weil es so wenig Aktionen gab und das Spielende immer näher kam. Und so entschied sich das Spiel auch erst auf den letzten Metern mit den Endwertungsplättchen am Spielende.
Mir hat „Vinhos“ sehr gut gefallen. Thematisch passte sehr vieles – dazu noch besser als bei „Viticulture“. Einzig die Experten fand ich etwas schwach, weil es für weil es für jeden der vier Expertentypen jede Fähigkeit einmal gab. Die Experten unterschieden sich also nur in der Farbe und wie viele extra Messepunkte ich dafür bei der Weinausstellung erhalten würde. Würde ich „Vinhos“ wieder mitspielen? Definitiv ja. Würde ich es aber vorschlagen, wenn beispielsweise auch „Kanban“ zur Auswahl steht? Nein, vermutlich eher nicht, weil das Thema mich einfach wenig anspricht. (9,0)
Wertung:
#VinhosDeluxeEdition
Lisboa (Eagle-Gryphon Games, 2017)
Nachdem „Vinhos“ auf den Tisch kam und mich zumindest mechanisch sehr begeistern konnte, machten wir danach mit Lacerdas „Lisboa“ weiter.
In „Lisboa“ bauen wir Lissabon nach einem Erdbeben mit Tsunami und Feuer im Jahr 1755 wieder auf. Hierfür habe ich Personenkarten in den Farben Grün, Blau und Rot und Gegenstandskarten auf der Hand. Eine Personenkarte kann ich an mein Spielertableau anlegen und erhalte deren Einmalbonus. Eine Gegenstandskarte kann ich ebenfalls an mein Tableau anlegen, erhalte dafür Geld und einen dauerhaften Bonus. Danach kann ich entweder Waren (Gold, Bücher, Stoffe, Werkzeuge) an ein Schiff bei mir oder einer Mitspielerin verkaufen oder ich handel mit bis zu zwei Adligen. Der Handel ist nichts anderes als eine Aktionswahl aus sechs Aktionen, die ich mit einer bestimmten Warenart bezahlen muss. Alternativ zum Anlegen an meinem Tableau kann ich die Personenkarte zentral ausspielen, um mit einem der drei Adeligen (ebenfalls in den Farben Grün, Blau und Rot) in Kontakt zu treten. Auch hier dient das wieder nur der Aktionswahl. Dabei darf ich eine der Basisaktionen kostenlos (also ohne extra Ware) ausführen. Zusätzlich erhalte ich Zugriff auf Sonderaktionen, die ich sonst nicht direkt ausführen kann. Dieser Personenwahl können meine Mitspielerinnen folgen, wenn sie ein entsprechendes Gunstplättchen abgeben. Ich kann auch eine Gegenstandskarte zentral ablegen und erhalte den abgebildeten Einmalbonus. Der Karte kann niemand folgen. Danach ziehe ich eine Karte von vier Stapeln nach (Personenkarten in Grün, Blau und Rot oder Gegenstandskarten) und die nächste Spielerin ist dran.
In Summe gibt es also neun mögliche Aktionen. Da der Hauptteil des Spiels der Bau von öffentlichen und Produktionsgebäuden ist, zielt vieles darauf ab. So kann ich mit zwei Aktionen Beamte in die Amtsstube schicken oder mir einen Plan für ein öffentliches Gebäude besorgen, welches ich durch eine andere Aktion dann bauen kann. Oder ich baue ein normales Gebäude, welches Geld kostet und Siegpunkte bringt. Ich kann auch Schiffe bauen (im Spiel zu zweit gibt es maximal vier), über welche ich oder meine Mitspielerinnen Waren verkaufen können. Mittels der Produktionsaktion produzieren alle meine Produktionsgebäude Waren, dafür fällt der Warenwert aber auf dem Markt, was den Verkaufspreis senkt. Oder ich bewege den Kardinal auf dem Kirchentableau, welches mir dauerhafte Bonusplättchen bringt, die ich später dann auch gegen Siegpunkte und Einfluss eintauschen kann. Eine der wichtigsten Aktionen scheint aber das Nehmen von Zielkarten zu sein, denn diese bringen einen Großteil der Punkte (zumindest in unserer Partie).
Und so spielen wir, bis drei der vier Stapel leer sind oder zwei Spalten mit Trümmermarkern auf einem Spielertableau voll ist. Dann gibt es eine kleine Zwischenwertung und wir starten die zweite Epoche mit leicht anderen Personen- und Gegenstandskarten zur Auswahl. Sind dann wieder drei der vier Stapel leer sind oder vier Spalten mit Trümmermarkern voll, endet das Spiel. Es gibt noch einmal Punkte für eigene Schiffe, für volle Spalten an Trümmermarkern, für die Mehrheit bei jedem der vier Produktionsgebäuden (Gold, Bücher, Stoffe, Werkzeuge), für die eigenen Beamten in den öffentlichen Gebäuden, für Gunstmarker und schlussendlich für die eigenen Zielkarten.
Wer die Anleitung von „Lisboa“ liest, sieht an jeder Ecke das Thema. Zu fast jedem Absatz gibt es eine Erklärung, wie die Aktion oder das Material sich thematisch in den Aufbau Lissabons nach 1755 einfügt. Im Spiel habe ich vom Thema leider wenig gemerkt. Die Trümmermarker sind für mich nur bunte Würfel. Dass Beige für Erdbeben, Blau für Tsunami und Rot für Feuer steht, ist mir herzlichst egal, wenn ich nur ein Set vervollständigen will, weil ich dadurch mehr Karten an mein Tableau anlegen darf. Dass die drei Adligen auf dem Spielplan reale Personen sind, ist mir egal, ich schaue nur auf die Aktionen und spiele entsprechend eine grüne, blaue oder rote Personenkarte. Für mich war das alles nur abstrakt ohne historischen Hintergrund, für den ich mich aber auch nicht im Spiel interessiere (im Nachgang lese ich gerne etwas dazu). Im Gegenteil wirkte das eine oder andere thematische Detail störend. So bezahlen wir im Spiel nicht mit Geld, sondern mit Réis. Das ist historisch und thematisch korrekt, es klingt im Deutschen aber seltsam, wenn ich für ein Gebäude „15 Reis“ bezahlen muss. Das wirkte dann unfreiwillig komisch. Genauso wie das Sammeln von Perücken, weil niemand das Wort „Siegpunkte“ in den Mund nehmen wollte. Dass ich aber am Spielende 123 Perücken im Schrank stehen habe, lässt mich das Spiel nicht ernst nehmen.
Die Illustration von Ian O'Toole ist immer eine Diskussion wert. So gibt es einige Spiele, bei denen ich seinen Stil mag. „Lisboa“ zählt definitiv nicht dazu. Ich finde den Spielplan viel zu trist und langweilig, gleichzeitig aber wieder komplett überladen und unübersichtlich. Hätte ich das Spiel und den Autor nicht gekannt, hätte ich den BGG-Link innerhalb von fünf Sekunden wieder geschlossen. Und auch die Symbolik fand ich alles andere als eingängig. Bis zum Spielende konnte ich mir nicht merken, wofür die „Krone“ stehen soll. Jedes einzelne Kirchenplättchen mussten wir nachschlagen, weil sich aus den abgebildeten Symbolen keines erschloss. Da solche komplexen Spiele bei uns selten auf den Tisch kommen (einmal pro Jahr), bedeutet das auch, dass nach einem Jahr die Regeln und Symbolik erneut erlernt werden muss.
Vermutlich liegt das aber auch einfach an der Fülle an Symbolen, Mechaniken und Aktionen im Spiel. Mir war das einfach zu viel von allem. Zwei Arten von Karten, eine Art in drei Ausprägungen, drei Möglichkeiten, was ich mit denen mache, je nach Wahl dann entweder die Auswahl von zwei aus sechs Aktionen oder zwei aus drei. Und dann Aktionen, die mehrfach aufeinander aufbauen, ehe ich den Kern des Spiels erreiche: den Bau eines simplen Gebäudes. Dazu noch ein Markt und einen Kirchenrundgang und Zielkarten und sicherlich noch mehr, das ich vergessen habe. Im Gegensatz zu „Vinhos“, bei dem ich sofort im ersten Zug wusste, was ich zu tun hatte und in welche Richtung ich mich entwickeln möchte, ist „Lisboa“ nicht intuitiv. Es erschließt sich vermutlich erst nach zwei oder drei Partien, wie die genauen Zusammenhänge sind. Dazu wird es aber nicht kommen, weil ich fast jede Minute des Spiels gehofft habe, dass es gleich vorbei sein wird. Das war dann auch einfach mein Spielziel: Ich wollte möglichst schnell Trümmermarker sammeln, damit es vorbei ist. Dass mir das den Spielsieg bescherte, war dann ein lustiger Nebeneffekt, der das Spiel aber nicht besser macht.
Wenn ich etwas Positives an „Lisboa“ finden will, ist es vermutlich, dass es nicht langweilig ist. Oder zumindest nicht wegen der Wartezeit auf andere Spielerinnen. Oft bin ich selbst in Gedanken. Und je nach ausgespielter Karte kann ich sogar noch folgen, worauf ich das ein oder andere Mal sogar spekuliert habe. Das hat tatsächlich Spaß gemacht. Ansonsten ist die Spielerinteraktion sehr gering. Aktionen können sich die Spielerinnen nicht wirklich wegnehmen, manches wird verteuert (Einfluss) oder verbilligt (Warenproduktion) oder es wird ein Plättchen weggenommen, was ich gerne gehabt hätte. Oft gibt es aber genug Alternativen, um einen anderen Weg zum eigenen Ziel zu finden. Die absolute Spielzeit von zwei Stunden und die gefühlte von drei spricht wiederum in meinen Augen nicht für das Spiel.
In Erinnerung geblieben sind mir ansonsten zwei Dinge: Zum einen, dass bei der Produktion die jeweilige Ware weniger wert wird. Das fand ich zumindest sehr interessant und im Mehrpersonenspiel lässt sich das sicherlich auch nutzen, um das Monopol eines Mitspielers weniger wert sein zu lassen. Es ist aber auch etwas unrealistisch, dass die Produktion von vier Büchern den gleichen Markteinfluss hat wie die Produktion eines einzelnen Buches. Und der Marktwert steigt auch nicht wieder, was mir ebenfalls komisch vorkam. Der zweite positive Aspekt war der Gebäudebau. Das Zusammenspiel von öffentlichen Gebäuden und Produktionsgebäuden, die je nach Konstellation Siegpunkte abwerfen, hat mir gut gefallen, weil es sich so schön ergänzte. Der Mechanismus erinnert mich stark an „Tekhenu“, welches als Teilaspekt ähnlich funktioniert. Vermutlich stehe ich mit der Meinung auch nicht allein da, denn genau der Gebäudebau mit seinen Wertungen wurde mit „Mercado de Lisboa“ von Julián Pombo extrahiert. Das hatten wir letztes Jahr gespielt und blieb aufgrund seiner Belanglosigkeit und unserer Langweile aber nicht in guter Erinnerung.
Mein Fazit: „Lisboa“, nein danke. Das Spiel ist viel zu komplex für mich und in meinen Augen unnötig kompliziert. Das Thema finde ich nicht wieder und die Illustration sagt mir absolut nicht so. Mir fällt kein Grund, wieso ich es noch einmal spielen wollen würde. (4,5)
Wertung:
#Lisboa
Bot Factory (Eagle-Gryphon Games, 2023)
Die meisten Spiele von Vital Lacerda sind in der Brettspiel-Community der anspruchsvollen Spielerinnen sehr beliebt. Eines dieser sehr beliebten Spiele ist „Kanban“ und dessen Neuauflage „Kanban EV“. Vital Lacerdas Spiele glänzen meistens auch durch eine sehr hohe Komplexität und Verzahnung der Möglichkeiten, was den Einstieg für Gelegenheitsspieler enorm erschwert. Mit „Bot Factory“ haben João Quintela Martins und Vital Lacerda einen „Kanban“-Ableger veröffentlicht, der das Spielprinzip zugänglicher machen soll. Ob den beiden Autoren das gelungen ist, wollte ich in einigen Online-Partien auf Tabletopia herausfinden. Das Spiel wurde bis Ende Juni 2022 bei Kickstarter finanziert und soll im Mai 2023 ausgeliefert werden.
In „Bot Factory“ sind wir leitende Angestellte einer generischen Fabrik, welche Spielzeug-Roboter herstellt. Wir laufen von Abteilung zu Abteilung, um dort Aufgaben zu erledigen. Konkret gibt es vier Abteilungen: In einer Abteilung hole ich mir eine Blaupause, mit der ich einen der vier farbigen Roboter fertigstellen darf. In einer anderen Abteilung hole ich mir die drei farblich passenden Teile (Kopf, Körper, Beine), die ich zum Bau des Roboters benötige. In der vorletzten Abteilung kann ich den Roboter dann nach und nach zusammenbauen und vom Fließband laufen lassen. Und die letzte Abteilung erlaubt mir den Wert einer Roboterserie (also einer bestimmten Farbe) zu erhöhen oder Aufträge vorzumerken, die ich am Spielende unbedingt erfüllen möchte. Das waren tatsächlich schon alle Hauptaktionen. Dazu gibt es bis auf die letzte Abteilung noch Nebenaktionen, die mich Teile tauschen oder anderweitig nehmen lassen. Und es gibt in allen Abteilungen noch Bonusaktionen, die ich entweder durch das Nehmen oder Legen von Teilen oder durch das Voranschreiten auf einer Leiste aktiviere. Meistens kosten die Nebenaktionen und Bonusaktionen aber Sprechblasen, welche die „Währung“ des Spiels darstellen. Eine Besonderheit ist noch Sandra, die Leiterin der Autofirma aus „Kanban“. Sie schaut uns etwas auf die Finger und wandert von Abteilung zu Abteilung, um dort etwas „aufzuräumen“.
Mechanisch umgesetzt ist das Ganze durch einen Arbeitereinsatzmechanismus, wobei jede Spielerin nur einen Arbeiter hat (sich selbst). In jeder Abteilung gibt es zwei oder drei Einsatzfelder, die unterschiedlich stark sind. Reihum beginnend bei der aktuellen Startspielerin setzen wir unsere Arbeiter also auf eine Abteilung, müssen diese aber von der vorherigen Runde wechseln. Im Zweipersonenspiel darf ich mich zusätzlich nicht zu Sandra in die Abteilung stellen, was einige Aktionen blockiert. Und jetzt der in meinen Augen beste Mechanismus in „Kanban“ und „Bot Factory“: Die Abteilungen und damit die Einsatzfelder sind von links nach rechts geordnet und werden in diese Reihenfolge auch ausgeführt. Als Startspielerin habe ich somit zwar immer die erste Wahl, wo ich hingehen möchte. Gleichzeitig kann das aber dazu führen, dass sich jemand anderes in der gleichen Abteilung vor mich stellt und mir etwas wegnimmt. Letzte Spielerin zu sein, ist also nicht immer schlecht.
Wenn eine Spielerin fünf Roboter gebaut hat oder alle Roboter einer Farbe gebaut wurden, endet das Spiel und es wird abgerechnet. Punkte gibt es für die gebauten Roboter entsprechend der Werteskala in der letzten Abteilung. Zusätzlich gibt es Punkte für die erfüllten Aufträge. Minuspunkte gibt es für reservierte, aber unerfüllte Aufträge, für unerfüllte, noch vor mir liegenden Blaupausen und für unbenutzte, vor mir liegende Teile.
Das Thema des Spiels ist recht generisch, funktioniert aber. Lacerdas Spiele sind dafür bekannt, eine gute thematische Einbettung trotz hoher Abstraktion zu haben. Und das ist wie bei „Kanban“ auch in „Bot Factory“ größtenteils gelungen. Das heißt, die Hauptaktionen „Blaupause nehmen, Teile nehmen, Roboter zusammenbauen“ ergeben einen Sinn, ebenso wie das Reservieren von Aufträgen und die Belohnung/Bestrafung am Spielende. Dass der Wert eines Roboters sinkt, wenn ich eine fertig stelle, soll vermutlich Angebot und Nachfrage abstrahieren. Ich fand die Idee zwar nicht schlecht, seit ich sie so ähnlich aus „Lisboa“ bei der Warenproduktion kenne, aber ich finde es dennoch, dass durch einen Roboter der Marktwert sinkt. Die Steigerung wiederum konnte ich mir durch Marketing-Kampagnen erklären. Die Nebenaktionen passen zu einem großen Teil noch (herumliegende Ersatzteile beim Zusammenbau), aber auch nicht immer (Tausch von zwei Blaupausen gegen ein Universalteil, welches in jeden Roboter passt). Und spätestens bei den Bonusaktionen wird es abstrakt, weil es sich mir nicht thematisch erschließt, wieso ich ein Teil nehmen darf, wenn ich einen Roboter zusammenbaue oder ein Teil einbauen darf, wenn ich eine Blaupause oder ein Teil nehme. Sandra ist dabei wie bei „Kanban“ eine gute thematische Ergänzung. Wo sie in der Vorlage aber je nach Spielmodus noch nett oder böse war und die Spielerinnen belohnte oder bestrafte, bringt sie bei „Bot Factory“ hauptsächlich etwas Abwechslung rein. Konkret ändert sie in drei Abteilungen nur die Auslage und in der letzten passt sie die Wertigkeit der Roboter an. Zusätzlich muss ich eine Sprechblase extra ausgeben, wenn ich eine Aktion ausführen möchte, nachdem Sandra in meine Abteilung gekommen ist.
Die Grafik und Illustration von Pedro Soto ist thematisch passend eher verspielt und niedlich. Mir gefällt der Comic-Stil, aber das ist wie immer Geschmackssache. Sehr gelungen ist die Symbolik. Alles ist klar und deutlich auf dem Spielplan abgedruckt, inklusive Sandras Aktionen. Das einzige Manko ist, dass für die Endwertung kein Platz mehr auf dem Spielbrett war. Das würde vor allem Erstspielerinnen helfen, die Minuspunkte nicht zu vergessen. Bei der Variabilität muss in meinen Augen unterschieden werden: Der prinzipielle Spielablauf ist jede Partie identisch. Ich hole Blaupausen, Teile und baue Roboter. Dabei sind die Blaupausen und Teile zwar zufällig ausgelegt, rotieren aber durch. Von den Aufträgen kommen nur einige ins Spiel, was aber auch nicht zu einer hohen Variation führt. Weswegen sich jedes Spiel dennoch anders anfühlt, ist die sehr hohe Interaktion. Ich zerstöre meinen Mitspielerinnen zwar nichts, aber durch die großartige Mechanik, wer wann drankommt, ist das immer wieder sehr spannend anzusehen, wenn Pläne durchkreuzt werden. Im Zweipersonenspiel wird das durch Sandra erreicht, die eine ganze Abteilung blockiert, mit mehr Personen erledigen das die Spielerinnen selbst. In meiner Zweipersonentestpartie sah ich meinen Mitspieler schon haushoch gewinnen – und er sich vermutlich auch. Mit der vorletzten Aktion bot sich mir aber die Möglichkeit, meine unpassenden Blaupausen gegen eine passende für einen grünen Roboter einzutauschen, ein Universalteil zu nehmen, um dann mit der letzten Aktion den grünen Roboter zu bauen und das Spiel zu beenden, was mein Mitspieler nicht verhindern konnte. Das war ein wirklich großartiger Moment! „Bot Factory“ lässt sich sicherlich auch friedlich nebeneinanderher spielen, aber früher oder später kommen sich die Spielerinnen bei den fast fertig gebauten Robotern in die Quere. Die Downtime variiert sehr stark, da ich sehr von meinen Mitspielerinnen abhängig bin. Sei es bei der Wahl des Aktionsfeldes, als auch dann bei der Ausführung, weil sich jemand anderes vor mich gesetzt hat und mir wichtige Teile wegnimmt. Die Spielzeit kann also sehr variieren. Im Zweipersonenspiel benötigten wir 110 Minuten, weil oft geknobelt wurde, was nun die beste Platzierungsmöglichkeit für den Arbeiter wäre.
Die Anleitung liest sich recht gut, auch wenn ich einige Passagen mehrfach lesen musste, um das Spiel zu verstehen. Den Anspruch zum Verständnis der Anleitung würde ich also schon etwas höher ansetzen. Wer jede Woche neue Spiele lernt, wird kein Problem damit haben. Wer einmal im Jahr eine Spielanleitung in die Hand nimmt, muss sich aber vermutlich eher durcharbeiten. Das liegt aber hauptsächlich an der Komplexität des Spiels. Auch wenn „Bot Factory“ niedlich aussieht, ist es immer noch im Kern ein Lacerda-Spiel. Und auch, wenn es sich einfacher als „Kanban“ verstehen und spielen lässt, ist „Bot Factory“ kein Spiel für den geselligen Familienabend. Die Hauptaktionen sind noch sehr einfach zu verstehen. Dann kommen aber noch die Nebenaktionen und Bonusaktionen dazu. Und natürlich auch Sandras Aktionen müssen verstanden werden (insbesondere die Funktionalität des Teile-Fließbandes). Aber auch das macht noch nicht die Komplexität aus. Die Komplexität kommt aus der Vorausplanung mehrere Züge (Wo stellen sich die Mitspielerinnen hin? Wo wird Sandra stehen und was wird sie in der Abteilung verändern?) und der optimierten Nutzung von Bonusaktionen. Das ist deswegen auch mein größer Kritikpunkt am Spiel: Die Aufmachung und Gestaltung passt nicht so ganz zur Zielgruppe. Wer bei den niedlichen Roboter-Meeples und der Comic-Grafik ein schnelles, kleines Kinderspiel erwartet, wird gehörig enttäuscht werden. Gleichzeitig ist „Bot Factory“ dennoch so aufgebaut, dass es sich mit Kindern der Altersstufe ab 8 spielen lässt. Hier sollten sich alle von vornherein darauf einigen, dass die Bonus- und Nebenaktionen nicht genutzt werden können. Das Spiel wird dann etwas flacher, aber auch einfacher. „Bot Factory“ unterscheidet sich dadurch auch von „Mercado de Lisboa“. Bei dem wurde ein Kernelement aus „Lisboa“ herausgelöst. Übrig blieb ein (in meinen Augen) sehr langweiliges und belangloses Spiel ohne große Entscheidungsvielfalt. „Bot Factory“ ist da ganz anders, weil die komplette „Kanban“-Mechanik übernommen und an einzelnen Stellen vereinfacht wurde. Überall konnte ich die Vorlage wiedererkennen. Ich hätte mir deswegen vermutlich auch eher ein „Kanban Family“ mit Kanban-Thema und Aufmachung, aber den vereinfachten Regeln und Spielbrett gewünscht. Kritik erhält „Bot Factory“ von mir noch aufgrund des Verwaltungsaufwands. Eigentlich ist es nur, dass ich am Rundenende zwei Blaupausen ablege, dichtschiebe und auffülle. Es ist aber etwas, das ich ständig vergaß und das mich auf die Dauer auch störte. Hier hätte mir das Abwerfen durch Sandra vollkommen genügt.
Ein Wort noch zur Soloversion. Neben Sandra darf ich dann noch einen Prüfer namens Vilela steuern. Vilela hat ein Aktionsdeck mit den vier Abteilungen und ein Roboterdeck mit vier Roboterfarben. Jedes Mal, wenn Vilela am Zug ist, den Arbeiter zu setzen, werden von beiden Decks eine Karte aufgedeckt. Diese Aktionskarte bestimmt, in welche Abteilung sich Vilela stellt. Bei der Ausführung der Aktion (wie gehabt in der Reihenfolge von links nach rechts in der Fabrik) kommen die Karte vom Roboterdeck ins Spiel. Vilela verhält sich nämlich sehr destruktiv. Beim Zusammenbau entfernt er zwei Plättchen eines noch nicht fertiggestellten Roboters der entsprechenden Farbe oder entfernt gleich einen Roboter aus dem Spiel. Bei den Teilen entfernt er alle Teile einer Farbe, bei den Blaupausen alle Blaupause einer Farbe. Und in der Finanzabteilung verringert er den Wert eines Roboters entsprechend der Farbe und dreht auch noch Aufträge um, die danach nicht mehr gewählt werden können. Vor allem beim Zusammenbau fühlt es sich echt so an, als würde jemand, nachdem ich einige Züge Vorbereitung für den Roboterbau benötigt habe, mit einem Hammer auf meinen Spielzeugroboter einschlagen, mir ihn hinhalten und sagen „Der ist kaputt. Mach noch einmal.“ Noch schlimmer fand ich die Aufgaben, die Vilela einem stellt. Zu Beginn erhalte ich zufällig eine von vier Aufgaben oder darf mir eine aussuchen. Beispielsweise drei Roboter einer Farbe bauen, je zweimal zwei Roboter verschiedener Farben bauen oder drei verschiedenfarbige Roboter mit Wert 12 bauen. Nur, wenn ich diese Aufgabe bis zum Spielende erledigt habe, wird überhaupt eine Wertung durchgeführt. Bei meinem ersten Soloversuch war das Spiel nach acht Runden aber leider schon vorbei, weil Vilela zufällig die Roboter wegnahm, die ich auch baute. Und ich hatte damit weder Aufgabe noch Aufträge oder etwas anderes erfüllt. Das ist sehr unbefriedigend, weil das Spielende so am Zufall hängt. Auch ist die Aufgabe mit drei Robotern einer Farbe zwar machbar, kann aber durch simplen Zufall in der Partie komplett zunichtegemacht werden, wenn Vilela einen dieser drei Roboter wegnimmt. In meiner zweiten Partie hatte Vilela nach vierzehn Runden zufälligerweise von jedem Roboter einer Farbe einen entfernt. Damit war die Aufgabe hinfällig. Positiv ist die Spielzeit mit Vilela. In meinen drei Solopartien spielte ich zwischen 30 und 50 Minuten. Das hängt aber auch wieder sehr vom Zufall ab, ob Vilela die „falschen“ Roboter wegnimmt und damit das Spielende einläutet oder nicht.
Wegen der Zufälligkeit, der Destruktivität, der fehlenden (menschlichen) Interaktion und weil es nur vier Aufgaben gibt, die sich auf Dauer sehr gleich anfühlen, hat mir der Solomodus nicht so sehr zugesagt. Das Zweipersonenspiel hat mir aber sehr gefallen. Mechanik, Symbolik, Interaktion sind großartig. „Bot Factory“ fängt die Essenz von „Kanban“ so gut ein, dass es für mich sogar als etwas Ersatz dafür dienen könnte. Bei „Bot Factory“ traue ich mir zu, dass ich es in einem Jahr noch erklären kann. „Kanban“ müssen wir bei jeder Partie (circa eine pro Jahr) neu erlernen, was die Hürde, das Spiel auf den Tisch zu bekommen, sehr hoch macht. Entsprechend freue ich mich auf weitere Partien, wenn das Spiel dann im Mai 2023 in der Realität auf den Tisch kommt. (9,0)
Wertung:
#BotFactory
First in Flight (Artana, 2023)
Besondere Themen reizen mich immer wieder und so bin ich über „First in Flight“ gestolpert, was Ende JUni 2022 auf Kickstarter finanziert wurde. Thematisch geht es um die Pionierzeit der Luftfahrt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wir nehmen die Rollen von zehn damaligen Piloten ein, wie den Brüdern Wright, Hubert Latham oder Bessie Coleman, versuchen uns durch Freunde Vorteile zu verschaffen und unser Luftschiff durch Technologien und Upgrades zu verbessern. Ziel ist es, einen neuen Flugrekord innerhalb von vier Jahren aufzustellen. Via Tabletop Simulator konnte ich einige Runden solo im Flugsimulator absolvieren.
Das Spiel geht über vier Jahre/Runden. Die hinten liegende Spielerin ist immer am Zug (wie in „Glen More“ oder „Patchwork“) und setzt ihre Pilotenfigur auf einer runden, geschlossenen Aktionsleiste beliebig weit vorwärts auf ein Aktionsfeld und führt diese Aktion aus. Wenn ich mir also eine wichtige Aktion weiter vorn sichere, überspringe ich einige Aktionsfelder, die meine Mitspielerinnen dafür dann nutzen können. Die wichtigste Aktion ist der Flug, mit dem ich einen Rekordversuch starte. Hierzu mische ich mein Flugdeck und decke nach und nach Karten auf. Jede Karte hat eine Reichweite (Standard 1, bessere Karten dann 2 bis 5) und so fliege ich immer weiter. Im Deck gibt es aber auch Problemkarten (normale und Designprobleme), welche mich abstürzen lassen, wenn ich vier Schadenssymbole gezogen habe. So bietet es sich an, mit drei Schadenssymbolen das Glück nicht zu sehr herauszufordern und eine Landung anzustreben. Hierzu wird eine Landungskarte ausgelegt und zwei weitere Flugkarten vom Deck ergänzt. Lande ich sicher (das heißt, es kommt kein viertes Schadenssymbol), erhöht sich die Reichweite des Fluges um 5. Bei einem Absturz nur um 2. Egal, wie der Flug ausgeht, die Flugweite wird mit meinem Reichweitenmarker auf dem Spielbrett angezeigt, wenn ich weiter als zuvor geflogen bin. Mit den anderen Aktionen kann ich zuvor gezogene Designproblemkarten in normale Problemkarten wandeln (Reparatur) oder mir Upgrades holen, welche mich weiter fliegen lassen, aber eine Designproblemkarte ins Deck holen. Daneben gibt es noch Aktionen, die mich die Unterstützung von Freunden gewinnen (einmal pro Runde einsetzbar), Technologien erwerben (dauerhafte Boni) oder Flugfähigkeiten verbessern (einmal pro Flug einsetzbar) lassen. Aktionen werden mit Geld oder Zeit bezahlt. Geld ist eine normale Ressource, die Zeitleiste wiederum verläuft parallel zur Aktionsleiste, aber mit größeren Abständen, sodass ich bei der Ausgabe von Zeit Aktionen überspringe und diese Runde nicht mehr nutzen kann. Wichtig: Wenn ich nach einem Flug abstürze, lege ich meine Pilotenfigur hin. Im nächsten Zug muss ich zwingend zwei Zeiteinheiten ausgeben, um mich wieder fit zu machen.
Ein Jahr endet, wenn alle Spielerinnen mit ihren Pilotenfiguren wieder die Startfelder erreicht haben. Es findet eine Zwischenwertung statt, bei der Preisgelder des „Michelin Cups“ ausgeschüttet werden. Wer bisher im Spiel am weitesten geflogen ist, erhält 8 Geld, die Zweite 6 Geld und alle anderen immerhin noch 4 Geld. Spätestens nach vier Jahren ist die Partie vorbei, wenn es nicht eine Spielerin vorher geschafft hat, eine Flugreichweite von 36 zu erreichen. Zum Spielende darf jeder noch einmal einen einzelnen Flug absolvieren, um damit vielleicht doch noch in Führung zu gehen.
Im Zweipersonenspiel und in der Soloversion kommt noch ein künstlicher Gegner namens Gustave dazu. Dieser lässt sich leicht spielen, da er kein Spielertableau und kein Deck benötigt. Wenn Gustave an der Reihe ist (also letzter Marker auf der Aktionsleiste), dann wählt er die nächste, freie Aktion. Handelt es sich um eine Aktion, die ihn Karten nehmen lässt, nimmt er die unterste weg. Wenn es eine Flugaktion ist, erhöht sich seine Flugreichweite automatisch um vier Schritte. Ebenso erhöht sich die Flugreichweite an jedem Rundenende um 4. Mit dieser Reichweite nimmt er am Michelin Cup teilt und nimmt uns damit das Preisgeld weg. Gustave kann sogar das Spiel beenden und gewinnen, wenn ich nicht weiter fliege als er.
„First in Flight“ hat drei Kernmechanismen. Die Aktionswahl mit dem zurückliegenden Spieler ist nicht neu, funktioniert aber gut. Da es nur fünf Flugfelder gibt und die Reparaturfelder direkt davor oder dahinter liegen, muss ich zwischen den zwei Aktionen oft in einer Runde abwägen. Vor allem zu viert stelle ich mir das spannend vor, da jede Spielerin pro Runde nur ein oder maximal zwei Flüge durchführen kann. Was bei mir eher weniger funktionierte, war die Bezahlung mit Zeit oder Geld. Dadurch, dass ich am Rundenende durch das Preisgeld immer mindestens 6 Geld dazu erhielt, hatte ich immer genug, um Reparaturen mit Geld zu bezahlen. Mit Zeit zu bezahlen ist ein Notbehelf, den ich freiwillig nie nutzen würde, weil ich dann viel zu viele Aktionen überspringe. Der zweite Kernmechanismus ist der Bau des Flugdecks. Durch mehr Flugkarten im Deck erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit keine Problemkarten zu ziehen und fliege entsprechend weiter. Durch die Upgradekarten erhöht sich ebenfalls die Flugreichweite und in Kombination mit manchen Technologiekarten vergrößert sich die Reichweite noch einmal. Zu Beginn sind bereits vier Problemkarten (zwei normale mit einem Schadenspunkt und zwei Designproblemkarten mit zwei Schadenspunkten) im Deck enthalten. Da ich auch per Reparatur die Designproblemkarten nur in normale Problemkarten wandeln und diese wiederum gar nicht abwerfen kann, ist gesichert, dass ich beim Durchspielen des ganzen Decks auf alle Fälle vier Schadenspunkte erreiche und zwingend abstürze. Das gefällt mir sehr, denn so ist es wirklich immer eine Frage, wann ich zur Landung ansetze. Wenn ich das ganze Flugdeck durchspielen könnte, wäre das Spiel nicht mehr spannend. Sehr gefallen hat mir der Kniff, dass nach dem Landeanflug noch zwei weitere Karten gezogen werden. Somit bin ich mit drei Schadenspunkten und einer Landung nämlich immer noch nicht sicher. Und so entscheide ich mich zur Sicherheit vielleicht sogar schon bei zwei Schadenspunkten zur Landung anzusetzen.
Thematisch glänzt das Spiel natürlich mit historisch korrekten Persönlichkeiten und Daten. Sowohl die zehn Piloten, die als Startcharaktere zur Verfügung stehen, existierten real, als auch die Freunde, die ich mir im Spiel sichern kann, zeigen reale Charaktere. (Beim Wikipedia-Artikel zu Aida de Acosta habe ich sogar erkannt, wo die grafische Vorlage für die Karte herkam.) Auch die mechanische Eigenart, dass ich bei einem Flug erst die Designprobleme finden muss, ehe ich sie reparieren kann, ergibt thematisch einen Sinn. Und auch der Erhalt der Upgradekarten, um weiter zu fliegen, kommt immer mit einer Designproblemkarte einher, was wunderbar dazu passt, dass bei der Verbesserung an damaligen Fluggeräten auch Fehler gemacht wurden. Der letzte Flug zum Spielende erlaubt mir sogar, mein Flugdeck die ganze Partie über zu optimieren, ohne mehrmals zu fliegen (bis auf das Herausziehen der Designproblemkarten), um dann wie die Pioniere damals alles auf eine Karte und einen Flug zu setzen. Spielerisch merke ich von den Upgradekarten, Designproblemen, Freunden und anderen Karten aber nur wenig. Auch ohne Grafik und ohne Kartentitel würde das Spiel funktionieren, da es nur auf die abstrakte Funktionsweise ankommt. Die Technologiekarten empfand ich dabei als sehr stark, da sie sehr viel in Bezug auf die Flugreichweite bewirken können und auch dauerhaft bei jedem Flug wirken.
Die Grafik des Spiels gefällt mir größtenteils. Einige der Flugkarten sehen aus wie aus einem Anime (positiv gemeint). Die Personenkarten dagegen sind eine Mischung aus Realität/Fotografie und Comicgrafik, die mich nicht immer anspricht. Die Symbolik dagegen ist gut gelungen. Es gibt nur acht Aktionssymbole und daneben einige wenige, weitere, die sich meist sofort erschließen. Eine Besonderheit in der TTS-Umsetzung ist ein Symbol (grüner Daumen nach oben), das nicht in der Anleitung erklärt ist. Ich habe später dann herausgefunden, dass dies das alte Symbol für die Erfahrung-Aktion ist. Ansonsten ist die Anleitung verständlich und strukturiert aufgebaut. Einen Punkt Abzug gibt es dafür, dass die Soloregeln nirgends erwähnt werden. Es gibt nur eine Seite, der Gustave für das Zweipersonenspiel erklärt. Ich habe dann geschlossen, dass ich Solo vermutlich auch nur gegen einen Gustave antrete.
„First in Flight“ ist eher ein einfaches Spiel mit geringer Komplexität. Es gibt nicht so viele taktische Entscheidungen. Nach drei Solopartien fühlte es sich sogar schon sehr wiederholend an, da ich immer das Gleiche mache: Mit dem ersten Flug eine Designproblemkarte herausziehen, diese dann reparieren. Dann wiederholen. Sinnvolle Technologiekarten mitnehmen, welche mich Upgradekarten ziehen lassen, und ab Mitte von Runde Zwei dann jede Flugaktion mitnehmen, die möglich ist. Ob ich damit gewinne, hängt natürlich vom Zufall ab, in welcher Reihenfolge die Karten im Flugdeck kommen. Dennoch fand ich es schade, dass der Spielreiz bei mir so schnell abnahm. Da haben auch die zufällig ausgelegten Freunde-, Technologie- und Fähigkeitenkarten nicht geholfen. Ich denke, dass durch reale Mitspielerinnen, die man nicht so leicht lesen kann, etwas mehr Reiz entsteht. Die Interaktion entsteht dann durch die Wegnahme von Aktionsfeldern und dem direkten Wettbewerb um den weitesten Flug.
Die Soloversion fand ich etwas eintönig und wiederholend, wie bereits erwähnt. Sie ist fordernd, weil mit jeder Flugaktion und jedem Rundenende Gustave sich vier Flugfelder vorwärts bewegt. Wenn ich Gustave bis auf eine Flugaktion (die ich nicht blockieren kann) pro Runde keine übrig lasse, kommt er auf 32 Flugreichweite. Das heißt, eine Flugaktion mehr für Gustave und er löst bereits das Spielende aus. Da er sich aber jede Runde nur ein Aktionsfeld weiterbewegt, kann ich damit rechnen, welche Aktionen er ausführt und welche ich ausführen kann. Am Ende hängt es dann doch am Zufall und dem Aufbau meines Flugdecks. Das ist dann auch ein Kritikpunkt, denn die Zufälligkeit spielt auch bei den Upgradekarten eine zu große Rolle. Wenn ich die Upgrade-Aktion ausführe, ziehe ich X Upgradekarten (mit X >= 2) und wähle daraus 2. Im besten Fall erhalte ich auf die Art zwei 5er-Reichweite-Karten. Im schlechten Fall zwei 2er-Reichweite-Karten. Hier streut die Differenz mit 8 Zählern so stark, dass es sich im Mehrpersonenspiel vielleicht sogar schon unfair anfühlen könnte. Ich konnte in den drei Solopartien Gustave aber immer schlagen. Er war zwar mit 32 bis 36 Reichweite auch immer sehr weit fortgeschritten, meine Flugreichweiten mit 38, 43 und 41 (meist in der dritten Runde) waren aber besser. Immerhin spielt sich der Bot schön schnell. Eine Partie gegen ihn ist innerhalb von 30 Minuten abgehandelt.
„First in Flight“ ist ein thematisch sehr gut umgesetztes Spiel mit einer innovativen Verwebung von Deckbau- und Push-your-Luck-Mechanismus. Zumindest Solo fühlt es sich aber etwas wiederholend an und hängt mir zu stark vom Zufall ab, ob ich gewinne oder verliere. Dazu skaliert das Spiel eher seltsam, weil zu viert viel weniger Aktionsfelder für eine Spielerin zur Verfügung stehen als zu zweit. Ich denke aber, dass „First in Flight“ als Einstieg für ein schnelles, gehobeneres Familienspiel sehr gut funktionieren kann. (7,0)
Wertung:
#FirstInFlight
Unlock! Secret Adventures – Die Abenteurer von Oz (Space Cowboys, 2018)
„Alice im Wunderland“ und „Der Zauberer von Oz“ sind zwei Bücher, die ich sehr mag. Entsprechend halte ich auch immer Ausschau nach Medien (meist Büchern, aber natürlich auch Brettspielen), die in diesem Universum spielen. Als ich „Unlock!: Die Abenteurer von Oz“ geschenkt bekommen hatte, freute ich mich natürlich sehr. Und das Spiel kam auch gleich am Abend zu zweit auf den Tisch.
Wer die „Unlock!“-Reihe nicht kennt: Es handelt sich um ein Escape-Room-Brettspiel, welches hauptsächlich aus Karten besteht. Manche Karten können kombiniert werden (Addition der Kartenwerte ergibt die kombinierte Zielkarte), andere verlangen die Eingabe eines vierstelligen Codes in die Unlock-App, andere Rätselkarten müssen als Maschine interaktiv in der App bedient und gelöst werden. Auch wenn ich kein App-Freund am analogen Spieletisch bin, unterstützt diese das Spielgeschehen sehr.
Ohne Spoiler kann ich natürlich auch etwas zu „Unlock: Die Abenteurer von Oz“ sagen. In Summe hat mir das Spiel sehr gut gefallen. Allein wegen des Themas, aber auch grafisch fand ich es hervorragend umgesetzt. Die Story ist sehr geradlinig, es gab meines Wissens keine Stelle, wo es mehrere Rätsel parallel zu lösen gab. In Summe habe ich mich die etwa zwei Stunden also sehr gut unterhalten gefühlt.
Kleinere Kritikpunkte zum Unlock-Spielsystem habe ich aber auch. Beim Erhalt neuer Karten müssen wir diese aus einem dicken Kartenstapel heraussuchen. Die Karten sind aber nicht sortiert, sodass wir gefühlt die meiste Zeit im Spiel damit verbrachten, die richtige Karte zu suchen. Das Hilfesystem mittels der App ist meistens sehr gut, aber an einer Stelle kamen wir gar nicht weiter und mussten die Lösung anschauen. Leider wurde wirklich nur der vierstellige Code als Lösung angezeigt, aber nicht, wie man dahin kommt, was ich schade fand. Und das Unlock-System sichert sich nicht gegen versehentliche Fehler ab. Wenn wir also bei einem Rätsel denken, wir können die Karte 53 nehmen und die gibt es zufälligerweise auch, dann ist es nicht sicher, ob das auch wirklich die gesuchte Karte war. Wir haben dann einfach anhand der Textbeschreibung geschaut, ob die Karte thematisch zum aktuellen Ablauf passte. Nur an einer Stelle waren wir dabei unsicher, was uns etwas Zeit kostete.
Konkret zum Spiel selbst habe ich nur zwei Kritikpunkte: Zum einen mussten wir für ein Rätsel die Geschichte von Dorothy und der Hexe kennen, um das Rätsel zu lösen. Zumindest habe ich keinen offensichtlich Hinweis auf einer Karte gefunden, die uns in die richtige Richtung geschubst hätte. Da stupides Ausprobieren mit Strafminuten geahndet wird, kann ich mir das in der einen oder anderen Runde frustrierend vorstellen. Dies war auch am Ende des Spiels noch einmal so. Wir kamen an ein Rätsel, welches ohne Hilfe der App nicht hätte gelöst werden können. Oder zumindest fehlte auch hier wieder der entscheidende Hinweis im Spiel. Zum anderen gab es ein Rätsel, das wir nicht lösen konnten, weil die Hilfetexte der App irreführend waren. Hintergrund ist hier (wie ich bei BGG nachlesen konnte), dass es in der ersten Auflage des Spiels einen Druckfehler auf einer Rätselkarte gab. Mittels der Hilfetexte in der App (die ja auflagenunabhängig ist) wurde versucht, thematisch eine Hilfestellung zu geben, wie Buchstaben durch andere zu ersetzen sind. Das verwirrte uns aber enorm, da wir ebenfalls diese Buchstaben ersetzten, obwohl es nicht notwendig gewesen wäre.
Das Spielende erreichten wir nach circa 120 Minuten Spielzeit. Die Packung gibt zwar 90 Minuten an, aber an zwei Stellen hingen wir wirklich eine ganze Weile. Zusätzlich gab es speziell für ein Rätsel auch zahlreiche Strafminuten, weil wir einfach zu schnell und unkonzentriert Zahlencodes eingaben. Ich fühlte mich jedenfalls trotz der kleinen Kritikpunkte sehr gut unterhalten und würde jetzt liebend gerne als Nächstes „Unlock!: Hinunter in den Kaninchenbau“ spielen. (9,5)
Wertung:
#UnlockDieAbenteurerVonOz
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